Das Für und Wider

aus dem Buch: "Die Insel der Maahoras" (Malediven)

„Heinz, der Präsident überlegt, ob die maledivische Regierung dir nicht diese Insel für die Zeit deines Lebens überlassen soll,“ sagt mein mir zugewiesener maledivischer Sponsor, der Direktor für Information und Broadcasting Abdullah Rasheed. „Diese Insel wird ja nicht genutzt, weil sich die Menschen vor dieser Insel fürchten.“

 

Diese Rede lässt mein Herz schneller schlagen vor momentaner Freude. Sie kurbelt meine Fantasie an. Was wäre, wenn ....?

Würde dieses Angebot offiziell an mich herangetragen, müsste ich es leider dankend ablehnen.

Die Insel der Maahoras liegt zu abgelegen. Mit meinem flachbordigen Dhoni ist es ein großes Wagnis, den 65 Seemeilen breiten Eineinhalbgrad Kanal zu überqueren, um vom Lhaamu- ins Huvadhu-Atoll zu kommen.

Mein Ausgangspunkt ist die Fischerinsel Himandho im Ari-Atoll. Von dort müsste ich über das Faafu-, Dhaalu-, Thaa-Atoll zuerst ins Lhaamu-Atoll gelangen. Nur das Faafu- und Dhaalu-Atoll liegen auf Sichtweite beieinander. Die Kanäle zwischen all diesen Atollen wären aber kein großes Hindernis.

Bin ich nach 2-3 Tagen erst im Lhaamu-Atoll, steht mir der breiteste Kanal bevor. Ich fände niemals eine maledivische Crew, die das, und womöglich auf längere Zeit, mitmacht.

Mein Kapitän Hassan hat sich von meinen seemännischen Fähigkeiten überzeugt und vertraut mir nun. Seine Erfahrungen mit mir gibt er an neu angeheuerte Crewmitglieder weiter. Mir fremde Malediver können sich nicht vorstellen, dass ein Europäer in ihrer maledivischen Inselwelt ohne einheimische Berater allein zurecht findet. Für sie ist fremd, was sie nicht kennen, wo sie noch nie waren. Und in dieser Fremde sind sie sehr unsicher. Mit der Seekarte können auch auf den Malediven nur geschulte Navigatoren umgehen.

Nun gut, ich könnte meine alte Crew nach Ankunft im Huvadhu auf ein großes Seaboot bringen und sie nach Male zurückschicken.

Zuvor müsste ich im Nord-Huvadhu-Atoll aber erst eine neue Crew gefunden haben, der ich mein Dhoni auch anvertrauen könnte. Laut Gesetz müssen drei Mann auf einem Dhoni fahren. An meiner Insel könnte ich es nicht gebrauchen, müsste es aber für alle Fälle verfügbar haben.

Von der Maahorasinsel aus sehe ich eine Fischerinsel am westlichen Horizont liegen. Die Männer dort würden sich um einen solchen Job reißen, denn ich würde auf meinen Bootseigner- Anteil (50% des Fanges) verzichten. Den könnten sie unter sich aufteilen. Eine solche Chance gibt es kein zweites Mal für eine Fischerdhonicrew auf den Malediven. Sie kämen mit meinem Dhoni zu Reichtum. Ich würde sie lediglich verpflichten, es von Zeit zu Zeit aus dem Wasser zu ziehen, den Algen- und Muschelbewuchs zu entfernen und es auch in ihrem eigenen Interesse neu mit dem Öl aus der Leber der Haie zu streichen. Die Kosten dafür müssten sie selber tragen. Sie würden mir sicherlich ab und an mal geräucherten Fisch vorbeizubringen. Aber so nötig wäre das erst mal nicht, denn ich bin darin Selbstversorger.


Die hölzernen Dhonis werden traditionsgemäß nach ein paar Wochen von allen Männern und Frauen des Dorfes unentgeltlich aus dem Wasser gezogen. Von diesen Booten hängt das Leben aller Inselbewohner ab.

Ein Inselleben ohne Boot ist für mich undenkbar. Aber mein Dhoni ist schon alt und morsch.

Auf den Punkt gebracht, gehörte zu meiner Infrastruktur für mein Leben auf der Maahorasinsel in erster Linie der Cat, in zweiter Linie erst das Dhoni. Ich könnte ja immer mit einem großen Seaboot nach Male zum Einkauf oder ins Hospital kommen und zurück ins Huvadhu und dann auf eine benachbarte Fischerinsel.

Von dort per Cat wieder auf die Insel der Maahoras zurück, bräuchte also das Dhoni gar nicht unbedingt.

Der Cat ist eher als schwimmende Insel zu gebrauchen. Mit ihm komme ich in jede geschützte Lagune. Mit einem großen Dhoni nicht. Selbst ein kleines Dhoni, ein Bokura, wäre zu schwer für mich allein. Es geht zwar auch über sehr seichtes Wasser, aber ich könnte es alleine nicht auf den Strand ziehen, um sein Unterwasserschiff zu pflegen. Und überhaupt, wo sollte ich dann schlafen?

Auf dem Trampolin des Cats kann ich in jeder geschützten Lagune auf dem flachen Wasser moskitofrei übernachten. Sollte ich mich einmal auf einem Riff festfahren, bekäme ich den Cat immer wieder ohne Fremdhilfe frei.

Der Hobiecat 16 ist für meine Belange das idealste Boot. Nur bei lang anhaltender Flaute oder rauer See säße ich auf der Maahorasinsel fest.

Worin liegt denn eigentlich nun der Zauber einer Inselodyssee?

Maledivische Gerichte schicken doch Bösewichte gleichsam als Bestrafung auf abgelegene Inseln zu einer Einsiedlerfamilie. Ein Leben außerhalb der menschlichen Gesellschaft ist für die meisten Menschen undenkbar. Freiwillig würden sie es nie auswählen.

Ich schon. - Warum?

„Menschen sind nicht der Weg. Sie sind oft die Steine darauf und Hürden, aber auch die Blumen am Wege.“

Erst wenn ich meine subjektive Ganzheit erfahren habe, finde ich mich darin selbst. Das ist nur im Alleinsein möglich. Alles, auch den Partner, den guten Freund können und werden wir verlieren. Das Ich bleibt uns bis zum Tode.

Der Tod ist urpersönlich. Wir können ihn nicht lernen, nicht wiederholen. Aber beschäftigen müssen wir uns mit ihm, wenn wir nicht ständig vor ihm auf der Flucht sein wollen. Das ist töricht. Dabei kann er uns durchaus vertrauter werden, wenn wir mit ihm sprechen.

Er gehört zum Fisch und Vogel, zum Baum wie zur Ameise. Ohne ihn gäbe es kein Leben. Und das lieben wir. Wir sind von ihm nicht frei. Er ist uns näher als wir meinen. Er folgt uns Tag und Nacht und bleibt ja doch ganz friedlich. Ja, nur er wird uns einst erlösen. Dafür müssten wir ihm eigentlich schon zu Lebzeiten dankbar sein. Der Tod bereitet keine Schmerzen, er nimmt sie uns. Ob wir Angst vor ihm haben, liegt bei uns.

Uns quält, dass wir nicht loslassen können. Die größte Anziehungskraft hat die Liebe. Liebende Partner wollen sich nicht verlieren. Einer wird zurückbleiben, der andere wird seinem Tod folgen.
Dieses unerbittliche Getrenntwerden zerreißt Liebende innerlich und führt in die Trauer.

Wäre es nicht tröstlich für beide, wenn sie vorher im Alleinsein schon mit ihrem Tod und später darüber miteinander gesprochen hätten?

Das Alleinsein in der Wildnis führt uns in die Wahrheit der Natur, so lange wir sie aushalten.

Ein solches Leben macht mich neugierig. Was kommt auf mich zu? Ich muss das probieren!

Meine jahrelange Erfahrung im Alleinsein hat mich gelehrt, dass es neben dem gesellschaftlichen für mich noch ein anderes, sehr erfüllendes Leben gibt: das Inselvagabunden-Leben im Alleinsein, allerdings in einem lebensfreundlichen Umfeld! Die kleine Malediveninsel und ich bildeten stets eine Gemeinschaft. Die Insel als meine mir eigene vollkommene Miniaturwelt im großen Universum. Sie ist für mich immer leicht überschaubar. Sie und ich, wir gehörten zusammen.
Ich, als der eine denkende Teil, lebte das denkend aus. Meine Insel ließ es sich gefallen. Das wurde ein Lebensgefühl!

Alle in der Gesellschaft notwendigen Verhaltensweisen und Regeln wurden hier bedeutungslos. Ein völlig neues, anderes Ich-Erleben kam auf. Und das begriff ich erst ganz allmählich.

Hier ist absolut bedeutungslos, welchen Dienstgrad oder Titel, welchen Schulabschluss oder welche gesellschaftliche Stellung ich habe. Viel wichtiger in dieser Erlebniswelt ist u.a., dass ich einen Fisch fangen und zubereiten kann und zur rechten Zeit das richtige von selbst tue, ohne eine Anweisung abzuwarten. Das steht in keinem Lehrbuch. Reagiere ich falsch, werde ich selbst die Folgeerscheinung erleiden.
Dann wird sich zeigen, ob ich lernfähig bin.

Bisher hatte ich all die vielen Jahre meines Lebens in der Pflicht gelebt, mich vorherrschenden gesellschaftlichen Regularien anzupassen. Ich war bestrebt, meinen Mitmenschen zu gefallen, um anerkannt zu werden. Tagsüber in meinem Arbeitsbereich, in der Familie, in meiner Partnerschaft.
Selbst nachts war ich um Wohlverhalten bemüht. Hier fällt das alles von mir ab, und ich fühle mich frei und leicht wie ein Vogel.

Nun glaube ich erfahren zu haben, dass ständige Anpassung unterschwellig stresst. Das wird uns nicht bewusst. Wir spüren es vielleicht als ein unwohles Gefühl, dass wir „einmal raus müssen“, „reif für die Insel sind“. Ist das die allgemeine Lebenserfahrung, nach der sich alle Menschen einmal ganz in sich alleine zurückziehen möchten, ja müssen, um nicht seelisch zu erkranken, wenn sie das auf Grund alltäglicher Umstände nicht können?

Ich lebte auf den Inseln im Alleinsein in einer Freiheit, die nur von den Naturgesetzen eingeschränkt wurde. Bei Durst musste ich trinken, bei Hunger essen, bei Müdigkeit schlafen, zum Wohlfühlen musste ich meinen Körper pflegen, und sehr genau möglichst schon voraus Ursachen und deren mögliche Auswirkungen erkennen.

Ein sehr gravierendes Erleben ist

für alle Erstbesucher der Malediven, dass sie dort wesentlich unbeschwerter leben können. Sie brauchen kein Schuhwerk, keine einengende Bekleidung. Ein T-Shirt und Badeanzug reichen schon fast aus. Zum Essen hängt man sich ein seidenes oder leichtes baumwollenes Tuch um.
Es ist ja immer und überall warm. Mittags ist es heiß. Barfuß verbrennt man sich auf dunklen Bodenflächen die Fußsohlen. Dann sind leichte Sandalen gefragt. Auf den Inseln gibt es keinen Straßenverkehr, keinen Verkehrs- oder Produktionslärm. Die ständige Wärme bremst jede Eile. Man braucht beim Faulenzen kein schlechtes Gewissen zu haben, weil es alle tun.

Zu Hause ist alles gegenteilig.

Auf diesen Inseln kann man wirklich abschalten und erholt sich merkbar, denkt aber auch mit leisem Schrecken daran, wieder zurück zu müssen. Spätestens am Morgen der Abreise und auf dem Flugplatz geschieht der innerliche Umbruch. Europa kriegt uns wieder!

Ich bin aber kein Urlauber, habe den Zeitdruck nicht.
Ich musste mir Aufgaben stellen, und die sollten nützlich und sinnvoll sein.

Das war das Segeln, Fischen, Erkunden, der Erhalt meiner Kondition, die Beschaffung und Zubereitung meiner Nahrung, das Schreiben und Fotografieren, das Besuchen netter und hilfsbedürftiger Menschen auf Nachbarinseln. Dort wurde ich gebraucht und freudig erwartet.

Das Leiden von Kindern setzte mir seelisch sehr zu. Ich bedauerte, nicht genügend Hilfsmittel zur Verfügung zu haben. Manchmal waren es Mangel- oder Fehlernährung.
Auf den Hotelinseln werden unverzehrte Delikatessen als Abfall ins Meer geschüttet. Zwischen dem Leben der Eingeborenen in den abgelegenen Atollen und dem Leben der Touristen gibt es eben keine homogene Verbindung. Es sind zwei völlig verschiedene Welten, die aufeinander prallen.

Nach meinen Besuchen auf Inseln der Eingeborenen kehrte ich immer wieder gerne auf „meine“ Insel zurück, wie in eine Befreiung.

Ich brauchte auf meiner Insel keine auf Menschen bezogene Rücksicht zu nehmen, vernahm keine Unzufriedenheit, keine Kritik, aber empfing auch keine menschliche Wärme in Form von irgendeiner Freundlichkeit.

Lob, Beifall, Dank und Imponiergehabe gab es auf meiner Insel nicht.

Bis hier steht eigentlich alles f ü r das Einsiedlerleben auf maledivischen Inseln.

Was ich vermisste?

Nun ja, das Lächeln eines Menschen, seine Körpersprache, die mir gut sein wollte. Das würde mir als Anerkennung genügen.

Doch ich war schon alt genug, um zu wissen, dass mit einer menschlichen Bindung an ein vielversprechendes Wesen neue Verpflichtungen, Rücksichten, eben Zwänge wiederum übernommen würden, denen ich ja auf Zeit einmal entgehen wollte, um etwas ganz anderes zu erleben. Wir sollten uns lange vor dem Verlust von lieben Menschen Quellen erschlossen haben, aus denen wir dann im Alleinsein schöpfen könnten. Niemand kann den geliebten Menschen vom Sterben freiküssen! Veränderungen sind vorprogrammiert.

Es ist ein Geschenk des Himmels, einen geliebten Menschen umarmen und streicheln zu können und von ihm umarmt und gestreichelt zu werden.

Und trotzdem konnte ich nicht sofort wieder uneingeschränkt begreifen, dass ich abends nun gegen eine starre holzgetäfelte Decke in einem engen Raum gucken muss, diesen Anblick nun für immer hinnehmen soll, ohne mondsilbriges Meer, ohne den Blick in den Sternenhimmel und auf phosphoriszierende Wellen, die zischend unter mir durchliefen - und ohne lauwarme Meeresbrise, die meine Haut streichelte. Häuslich so wohl behütet, wurden mir wieder nach und nach die Wolken und Winde draußen gleichgültig.

Ich fühlte mich wie eingesperrt. Dieses einengende Gefühl wurde nicht durch die Gesundheitsmatratze und nach frischer Zitrone duftende weiße Bettwäsche abgeschwächt, bis ich mich wieder eingewöhnt hatte. Das traf aber immer erst ganz allmählich nach ca. drei Monaten ein.

In all den Jahren verlebte ich ja nur die 3 – 4 Wintermonate von Januar bis April in der maledivischen Inselwelt.

Um aber auf dieser Insel der Maahoras einen regelrechten Gartenbau zu betreiben, dessen Früchte ich auch ernten könnte, müsste ich dort länger verbleiben, vielleicht sogar für immer. Wäre ich längere Zeit abwesend, würden die Eingeborenen meine Insel abernten. Das würden sie nicht als Diebstahl ansehen. Ich wäre ja nicht da.

Ich hatte schon auf anderen Inseln in nördlicheren Atollen versucht, Obstbäume und Gemüse in gute Erde zu bringen. Im Jahr darauf hatten Ratten und Hühner alles aufgezehrt. Auf die jeweiligen Pächter der Inseln konnte ich meine gärtnerischen Ambitionen nicht übertragen. Ich gebe zu, dass mich das manchmal frustrierte.

Meine Frau besuchte mich jedes Jahr 2-3 Wochen lang auf den Malediven. Sie ist eine begeisterte Gerätetaucherin.
Wir trafen uns meistens auf einer von uns ausgesuchten Hotelinsel und genossen gemeinsam die fantastische
Unterwaserwelt der Malediven im Schweben in Schwerelosigkeit. Nur zweimal, 1993 und 1994 verbrachten wir diese Zeit auf meinem Dhoni.

Ich hatte einen Bauer-Kompressor erworben und unsere Tauchausrüstung an Bord. Wir haben bei dieser Gelegenheit die Atolle rund um Male nie verlassen. Das Dhaalu-Atoll war für meine Frau das am weitesten gelegene. So lernten wir nie betauchte, wirklich unberührte Riffe kennen und haben sie auch wieder unberührt verlassen.

Es sei nur kurz erwähnt, dass diese Tauchreisen auf eigenem Dhoni zu den schönsten gemeinsamen Unternehmungen unseres Lebens wurden.

Aber zum Besuch der Insel der Maahoras hätte ich meine Frau nie überredet. Ich hätte ihr dort niemals all das bieten können, was sie mit Recht erwartet. Frauen haben halt andere Bedürfnisse. Allein schon die Hin- und Rückfahrt wäre für sie eine unzumutbare Strapaze und Angsttour geworden, die ich nie hätte verantworten können. Bis heute weiß ich keinen lebenden Menschen, in dem diese Insel die gleiche Begeisterung hervorrufen könnte, wie bei mir.

Wenn meine Insel bei meiner Begleitung irgend eine Form der Unzufriedenheit hochkommen lässt, wird auch in mir dadurch ein gut Teil meiner Begeisterung gestört. Das sehe ich als Verlust an.

"Unter all den Dorfschönen... findest du leicht eine passende Frau, die für dich kocht, wäscht und die dich umsorgt! Liebe ist kein Muss. Du bist reich, hast eine weiße Haut. Die Frauen wünschen sich ein Kind von dir, das dann eine hellere Hautfarbe hätte, was auf den Malediven bewundert wird! – Du müsstest allerdings Moslem werden. Das kostet doch nur vier Rufiya. Dann kannst du für immer hier bleiben,“ vernahm ich immer wieder aus dem Munde der Einheimischen.

Aber auf die Insel der Maahoras wäre mir selbst eine eingeborene Frau wohl nie gefolgt. Der Aberglaube, die Angst vor Geistern sitzt tief verwurzelt in diesen Insulanern, und das trotz TV-Programmen über Satellitenschüsseln. Verheiratete Frauen bleiben in den Dörfern auch heute noch im Hause der Mutter. Der Ehemann kommt hinzu. Für mich wäre allein schon das undenkbar. Ich wäre dann nicht mehr auf meiner Insel, sondern eingebunden in eine große Sippe. Jedes einzelne Mitglied dieser Sippe würde von mir, dem reichen Europäer, profitieren wollen. Der Wünschkatalog, zumeist unnützer, kitschiger Kram, was aber als solches nicht erkannt wird, ist auch bei abgelegen wohnenden Insulanern heute schon recht umfangreich und kostspielig. Billiger Behelf ist beleidigend für einen armen Empfänger.

Rein wesensmäßig könnte ich kein Moslem sein. Islamische Traditionen blieben mir fremd und sind nicht imstande, meine Einstellung zu einer monogamen Beziehung aufzuweichen.

Aus früheren Erfahrungen weiß ich, dass ich auf den bewohnten Inseln der Fischerfamilien auch nachts nicht zur Ruhe komme. Eine Scheu vor der Schwelle einer fremden Wohnung ist Maledivern fremd. Man betritt das Haus eines anderen ohne anzuklopfen und scheut sich nicht, quer durchzugehen und mit lauter Stimme selbst einen Schlafenden mit Fragen aufzuwecken. Der wird sich das nicht verbeten, sondern es als etwas ganz Natürliches ansehen, weil er das selbstverständlich findet und es genauso machen würde.

So ergeht mir das auch unter meinem Zelt auf dem Trampolin meines Katamarans irgendwo am Strand ihrer Insel.

„Hallo, Heinzo ....!“

Zumeist werden Lapalien vorgetragen. Ein Mitglied der Sippe klagt über Bauchpieken, Nacken-, Kopf- oder anderweitige Schmerzen und bittet um meine Hilfe. Vielleicht fühlt er sich von seiner Sippe auch nur vernachlässigt und bedarf lediglich einer Portion Zuwendung. Würde ich die Hilfe ablehnen unter Vertröstung auf den nächsten hellen Tag, würde man das als Ungefälligkeit auslegen und beleidigt sein. Maledivische Gemüter sind in dieser Hinsicht äußerst empfindlich.

Ob ich es auf der Insel der Maahoras wirklich über Jahre ausgehalten hätte? Bis an mein Lebensende?
An die aufgezählten Widrigkeiten hätte ich mich vielleicht sogar mit der Zeit gewöhnt. Das spräche also auch eher dafür.

Hätte ich meine Wurzeln vergessen können?

Meine Kindheitserinnerungen? Hier lebte ich ja die Wunschträume meiner Jugend aus. Wäre meine Maahorasinsel demnach wirklich der große Umbruch? Oder nicht vielmehr eine kontinuierliche Fortführung meines Lebens?

Ich bin mir bewusst, dass ich bald ein zahnloser, vertrockneter Greis geworden wäre, vielleicht gar nicht mehr leben würde. Hätte ich meinen rasanten Alterungsprozess, typisch für die Tropen, stillschweigend hingenommen?

Nun gut, zu einem Zahnarzt wäre ich nach Sri Lanka gekommen. Ich hätte auch nach Deutschland fliegen können, denn Geld hätte ich ja auf meiner Maahorasinsel nicht verbraucht.

In den südlichen Atollen der Malediven ist die windstille Schwüle noch erdrückender als in den Atollen um Male und weiter nördlich. Dazu noch die allgegenwärtigen Moskitos, die hier wegen der täglichen Regenschauer und immerwährenden Pfützen noch zahlreicher auftreten. Beides zusammen ist für mich die Hölle der Tropen. Herz- oder Kreislaufkranke könnten es hier nicht aushalten.

Drum habe ich ja meine Schnorchelausflüge immer in die heiße Mittagszeit gelegt.

Luxuriöse Safariboote bieten ihren Gästen klimatisierte Räume. Die Hotelinseln bekämen ohne Klimaanlagen heute keine Buchungen mehr. Gegen die Moskitos werden Chemiegifte versprüht. Touristen leben auf den Malediven in einer künstlichen Welt und empfinden diese als angenehm.

Kühlung bei der Tropenhitze ist wünschenswert. Ich verschaffte sie mir auf Sandbänken oder den Sandzungen der Inseln, wo der laue Meereswind ungebremst meine Haut erfrischte, weitaus angenehmer, gesünder und geräuschloser als jede Klimaanlage. Wo der Wind geht, sind keine Moskitos. Wollte ich Schatten, legte ich mich unter das Trampolin meines Katamarans.

Auf dem Trampolin erreichten mich die lästigen Krabben nie.

Im Januar weht der Nordost mit 4-6 Beaufort. Im Februar lässt die Windstärke allmählich nach. Im März muss mit Gewittern und kurzen Flauten gerechnet werden. Im April mehren sich die Gewitter und Flauten. Die gefürchtete heiße Schwüle tritt tageweise ein. Übrigens hat man dann das beste Fotowetter: wunderschöne Abendstimmungen. Im Mai fand ich es fast unerträglich heiß und schwül mit vielen Gewittern. Der Wind dreht und wechselt die Richtungen, um sich im Juni auf westliche Richtungen einzupendeln.

Die Regenzeit beginnt. So war es meistens, doch nicht immer. In zwei Jahren von 14 hat es im Januar durchgeregnet. Schön und eindrucksvoll fand ich es trotzdem! Warm ist es auf den Malediven ja immer!

Das maledivische Paradies hat also schon seine Webfehler.

Niemals schlief ich inmitten einer Palmeninsel, in einer Hütte. Für die Eingeborenen waren die stickige Luft in einer Hütte und die Gesellschaft von Moskitos und Ratten (Palmhörnchen!) der Alltag, an den sie sich längst gewöhnt hatten. Ich bekam in ihren Stuben Erstickungsanfälle. Es gab ja keinen elektrischen Strom auf den kleinen Inseln. Darum auch keinen Ventilator, geschweige denn, eine Klimaanlage.

Nein, ich hätte wohl nicht freiwillig mein Leben auf der Insel der Maahoras zu Ende gelebt. Der Luxus einer Hotelinsel reizte mich nicht. Ich wäre ins uselige Norddeutschland zurückgekehrt, würde weiterleben wollen im Kreise meiner Familie.

Die Insel der Maahoras, das Meer, mein Boot und all die anderen vielen kleinen Inseln und Sandbänke, die mir alle ans Herz gewachsen waren, hätten mich nie mehr losgelassen. Das empfinde ich ja schon jetzt so.
Ich erlebe sie innerlich immer noch. Das wird so bleiben bis an mein Lebensende. Noch viel schlimmer wäre es geworden, wenn ich ein autarkes Leben auf der Insel der Maahoras tatsächlich erfolgreich gelebt hätte.

Intensiver kann man nicht leben.

Angeödet, wie meine Freunde meinten, hätten mich diese Inseln und das Leben auf ihnen nie!

Ein Frederic Chopin sollte mich wieder an meine Ahnen erinnern.

Wenn auch nur in Gedanken, die keine Zäune, Schranken und von Menschen geschriebene Gesetze aufhalten können.

Meine Seele lebt in meinen Träumen, an den Plätzen, wo sie aus dem Erleben des Schönen geboren wurden.



Mag ich die Vögel deshalb so?