Interview

mit Heinz Pack über Tourismus und Umwelt auf den Malediven

 

Abflug Düsseldorf 18:20 Uhr am 5. Januar 1998
Ziel: Inselwelt der Malediven im Indischen Ozean.

 

Frage: „Sie fliegen nun schon zum 15. Male als Individualreisender auf die Malediven, leben dort alljährlich monatelang nicht etwa in einem schicken Bungalow auf einer luxuriösen Hotelinsel, stattdessen immer wieder in der Abgeschiedenheit auf einem nur 2 x 2 m großen Trampolin eines kleinen Strandkatamarans unter freiem Himmel. Ich könnte mir ein bequemeres Leben vorstellen.“

 
Antwort:
„Bequemer gewiss, aber nicht erlebnisreicher, wahrhaftiger, eindrucksvoller, eben nicht schöner.“
 

Frage: „Die Malediven verstehe ich als eine Welt vieler abgeschiedener kleiner grüner Palmeninseln im warmen Indischen Ozean. Traumland sozusagen. Da müssten doch eigentlich viele Abenteurer wie Sie herumsegeln.“

 
Antwort:
„Die maledivischen Inseln - damit meine ich nicht unbedingt alle Inseln für Touristen - sind in der Tat ein Traumland für den, der Entspannung, die Wärme der Sonne, Ruhe und Naturerleben sucht. Er sollte das Meer lieben, müsste in es hineinschauen wollen.-

Das maledivische Gesetz verbietet Ausländern streng das Befahren aller Atolle und das Betreten von Inseln. Ausgenommen sind die für Tourismus freigegebenen Verwaltungsbezirke. Das war nicht immer so, bis Touristen Alkohol, Pornos und Rauschgift unter die moslemische Bevölkerung brachten und sich an den Reaktionen dieser Eingeborenen ergötzten, anstatt diesen Menschen lernbereit zu begegnen. Ich bewege mich dort studienhalber, und zwar alleine und frei mit einer Sondergenehmigung der maledivischen Regierung.“
 

Frage: „Warum tun Sie das?“

 
Antwort:
„Erstens verwirkliche ich mir damit einen stets gehegten Jugendtraum, zweitens suchte ich nach einer alternativen Lebensart, die anders als bei uns noch mit der Natur im Einklang funktioniert, drittens leiste ich dort Forschungs-, soziale und historische Kulturarbeit.
Seitdem ich in der Abgeschiedenheit fand, was ich gesucht hatte, dokumentiere ich in Wort und Bild in jener noch ursprünglichen Welt das darin Schöne, Wahre, im Wissen um seine Vergänglichkeit, lote meine Gedanken und Empfindungen aus im selbstgewählten Alleinsein auf menschenleeren Inseln oder Sandbänken vis-à-vis mit dem von Menschenhand unverfälschten Universum und besuche besonders gern Eingeborene, die ganz alleine eine kleine Insel bewohnen und bewirtschaften. Unter ihnen finde ich wirklich großartige, weise und liebe Menschen, die mir das auch vorleben. Das begeistert mich!“
 

Frage: „Das klingt alles interessant. - Schon seit langem wird in den Medien doch von Umweltmiseren auf den Malediven berichtet. Sie dagegen schildern alles dort wie eine heile Welt. Das sind doch Widersprüche.“

 
Antwort:
„Auch in diesem Punkt muss differenziert werden. Für mich haben die Malediven 4 oder sogar 5 Gesichter. Welches sind die echten, originalen?

Ich unterscheide zwischen 1. den Inseln für Touristen, 2. den Inseldörfern und unbewohnten Inselchen innerhalb touristisch genutzter Atolle, 3. der Inselmetropole Male, 4. allen Inseln außerhalb eines unmittelbaren touristischen Einflusses, wo ich die ursprünglichen Malediven vorfand. Von diesen eigentlichen Malediven erfahren wir so gut wie nichts. Die Hotelinseln werden uns als „Malediven“ vorgestellt.

Über welches Gesicht der Malediven soll gesprochen werden? Man darf sie nicht alle zusammen in einen Topf werfen. Es gibt unter ihnen krasse Gegensätze. Ich interessiere mich in erster Linie, wie schon gesagt, für die abgelegenen, von der Moderne weitgehend noch verschonten Gegenden, wo selten mal ein Weißer hinkommt, wenn überhaupt, und erlebe diese Welt und Gesellschaft unter den gleichen Bedingungen, wie die hier lebenden Fischerfamilien.
Hier erscheint mir die Welt noch in Ordnung, wenngleich sich auch hier noch vieles verbessern ließe. Auch oder besser gesagt gerade auf diesen Inseln fand ich fröhliche Zufriedenheit und vereinzelt Wohlstand in sauber gehaltenen Inseldörfern. Leider wirkt sich mancherorts Übervölkerung auch hier schon auf die Natur und das menschliche Individuum verheerend aus, wie ja weltweit.
Übervölkerung ist Instinktlosigkeit, bringt Massenelend und gesellschaftliches Chaos.

Für ein natürliches Leben in einer heilen Natur gibt es keinen Ersatz. Stattdessen nur bestenfalls viertklassige Imitationen, für deren Produktionen wir ganze Industrien aus dem Boden stampfen, für deren profitablen Absatz der Produkte wir die Konsumgesellschaft erfunden haben. Beides geltende Pfeiler unserer Industriegesellschaft, die uns Wohlstand ermöglicht. Was diese Fortschrittslüge unseren Nachkommen beschert, soll hier nicht erörtert werden. Die Malediver, obwohl von der Natur für eine natürliche, anspruchslose Lebensweise beneidenswert bevorzugt, bleiben von diesem Ungeist leider nicht verschont.“
 

Frage: „Was würden Sie denn auf den Malediven verbessern wollen?“

 
Antwort:
„Auf jeden Fall die Versorgung in der Human- und Zahnmedizin. In gar keinem Fall sollten mittellose Fischer unter starken Schmerzen leiden müssen, weil keine Narkotika und andere wirksame Schmerzmittel verabreicht werden. Ich würde 2. in jedem Großatoll oder Verwaltungsbezirk wenigstens eine geeignete unbewohnte Insel zu einem Sanatorium ausbauen lassen, in dem auch arme Einheimische aufgenommen und mit fortschrittlichen Methoden (z.B. Meerwasseranwendungen etc.) behandelt würden; 3. sollten die Malediver für die minderbemittelte Weltbevölkerung orthopädische Kliniken auf Inseln bauen und betreiben lassen; 4. statt immer mehr Inseln für den Luxus fordernden Jet-Tourismus zu erschließen, sollte es auch geschützte Naturreservate geben, Inseln für Vögel, Inseln für die wissenschaftliche Meeresbiologie und Treffs der internationalen Ökobewegung, Inseln für Pfadfinder!

Die Malediver haben ihre zauberhafte Natur nicht erarbeitet. Sie wurde ihnen geschenkt! Einige Privilegierte in der maledivischen Gesellschaft maßen sich an, für die Wärme der Sonne, der Luft und des Meerwassers hohe Summen in die eigene Tasche zu fordern. 5. Ich würde den Gartenanbau von Gemüse und Früchten fördern und auf jeder bewohnten Insel einen qualifizierten Berater stationieren, der sich für eine Verbesserung der Hygiene, die Familienplanung und eine Gesundheitsvorsorge einsetzt.“
 

Frage: „Welche Umweltprobleme kommen nach ihrer Meinung denn in der maledivischen Inselwelt auf?“

 
Antwort:
„Immer wieder wird von uns vorwurfsvoll mit erhobenem Zeigefinger auf Büchsen, Flaschen und Plastikbehälter verwiesen, die von den Maledivern ins Meer entsorgt werden. Wohin denn sonst? - Sicherlich manchmal an falscher Stelle. Die ständige Strömung nimmt alles mit oder verteilt es großflächig. Wahrlich kein Tummelplatz für Gerätetaucher. Vielleicht wird vieles nach Jahren vom Sand zugedeckt sein. Jedoch diese Art gewiss unschöner Abfälle ist in erster Linie ein landschaftskosmetisches Problem. Aber gerade dieser Müll wäre leicht vermeidbar. Wer da lieber von recyclen spricht, drückt sich wohl wider besseres Wissen vor unpopulären Konsequenzen.

Viel gefährlicher für die dortige Umwelt, ein lebendiges Riff z.B., sind die Unmengen ungeklärter Abwässer. Die wird keine Fluggesellschaft entsorgen. Je mehr Menschen auf engstem Raum, umso verheerender das Schadstoffaufkommen. Das gilt besonders den Hotelinseln. Das ökologische Gleichgewicht am Riff wird infolge Überdüngung und Algenvermehrung gestört. Die riffbildenden Polypen ersticken. Davon sind vor allem benachbarte Riffe betroffen. Ein totes Riff hat gegenüber dem steigenden Wasserspiegel keine Schutzfunktion mehr : das Meer frisst die Inseln!“
 

Frage: „Hat der Ozean diese Inseln nicht ohnehin in 5o Jahren weggespült?“

 
Antwort:
„Es hat auf den Malediven schon immer Landversetzungen durch Strom und Wind gegeben. Inseln verschwanden, neue entstanden. Aber mir fällt auf, dass die Strände überall von Jahr zu Jahr schmaler werden, bei Springfluten das Meerwasser auffallend höher kommt als noch vor 10 Jahren. Schon sehr bald werden die flachen Inseln jedes Mal kurzfristig überflutet werden, weil wir auf unsere Annehmlichkeiten, den Motorsport , das leistungsstarke Privatauto, Motorboot, Privatflugzeug , Motorrad nicht verzichten wollen, die den Treibhauseffekt verstärken. 

Malediver heizen übrigens tüchtig mit! Auf der Inselmetropole Male hupen sich Hunderte von Autos und Motorräder durch dichtgedrängte Menschenmassen den Weg frei. Luxus-Hotelanlagen mit Süßwasserpools im schönsten aller warmen Meere verschlingen Unmengen an Energie : Dieselkraftstoff. Alle Motorboote fahren grundsätzlich stets mit Vollgas. Nach einer Recherche des WWF ist im Jahre 2030 der Wasserspiegel in den Weltmeeren um 25 cm gestiegen, wenn der Treibhauseffekt nicht gestoppt wird. Vielleicht wird das Erdöl bis dahin unbezahlbar knapp.

Aber noch andere Verluste stehen den Maledivern bevor:

Für die verunstaltende Nivellierung aller 4 Gesichter der Malediven sorgen neuerdings allerorts Satellitenschüsseln. Über die gelangt ungefiltert Programmgiftmüll aus pervertierten Hirnen „hochentwickelter“ Industriestaaten in die abgelegensten Hütten am Rande der Welt. Wie sollen diese arglosen Menschen sich vor dessen Auswirkungen schützen ? - Menschlicher Wahnsinn ist eben nicht zu stoppen!

Es wird nie erwähnt, dass andererseits die weise, bescheidene Lebensart z.B. mitteloser Einsiedler auf die ganze Menschheit nachdenklich stimmend vorbildlich wirken könnte, sofern die weitverbreitete allgemeine Genuss- und Großmannssucht bei uns noch so etwas wie einen sensus dafür übriggelassen hat. Den Verkaufsbilanzen der heutigen Wirtschaft wäre das allerdings abträglich. Das Geistwesen Mensch beugt sich allerorts und selbstentwürdigend dem seelenlosen Diktat des Mammon. Das macht alles und uns kaputt!

Den Maledivern fehlt es nicht an Kritikern, wohl aber an guten Vorbildern!“
 

Frage: „Wie stehen Sie denn nun ganz konkret zum Tourismus auf den Malediven?“

 
Antwort:
„Ich kann ihn weder befürworten noch ablehnen. Beides wäre zu einfach. Über den Schadstoffausstoß der Transportmittel möchte ich mich nicht auslassen. Wenn ich gegen den Tourismus wäre, würde das uns und die Malediven auch nicht mehr retten.
Allerdings sind manche Formen und Ziele touristischen Lebens Geschmacksache. Taucherboot, Barbecue und Insel-Bar erschließen beileibe nicht dieses Inselparadies. Sie werden aber von vielen als die „Malediven“ angesehen und so dargestellt.

Das hochgelobte Taucherparadies wird heute an begehrten Tauchplätzen oftmals als ein Blitzlichtgewitter von UW-Fotografen aus vielen Industrienationen, als ein Wirrwarr strampelnder Flossen und gelblackierter Aluflaschen unter dem Bauch wartend tuckernder Dhonis erlebt. Sensationen in der Begegnung mit mindestens einem Walhai, mit Mantas und das Streicheln einer alten, grimmig dreinschauenden Muräne, nervenkitzelnde Haifütterungen werden erwartet, als hätte man damit das Paradies entdeckt, das diese damit angelockten Menschenhorden just vernichten. Disco, Kickhysterie und ein kühles Helles als 
krönenden Tagesabschluss. Mehr wird oftmals nicht gesucht.

Je mehr Touristen und Verzehr, umso größer der Profit! - Ausplündern, bevor es untergeht! Man glaubt zu wissen wie: Natur wird kultiviert, gleichsam überzuckert mit Luxus, architektonischer Designerkunst, weil von uns so gewünscht und gerühmt. Maledivische Boys schütten den Inhalt voller Gefäße mit teuersten Delikatessen von Buffets als Abfall ins Meer, weil sie von übersatten Wohlstandsbürgern verschmäht wurden. Diese boys wissen um ihre hungernden Nachbarn und Freunde weit draußen auf ihrer Heimatinsel im Ozean.

Das Leben mit der Lüge bringt harte Währung ins Land, macht blind und taub gegenüber Wahrheiten. D a s macht in erster Linie maledivische Millionäre zu Multis.

Der Tourismus auf den Malediven schafft aber auch für die arme Bevölkerung Arbeitsplätze, ermöglicht staatliche Subventionen bei eingeführten Grundnahrungsmitteln wie Reis, Zucker, Speiseöl und Trockenmilch. Es werden u.a. kostenlose Arztbesuche geboten, die Trinkwasserversorgung und Familienplanung gefördert, das Bildungsangebot vergrößert und Freizeitangebote geschaffen. Mit dem Lebensstandard steigen aber auch die Bedürfnisse, die geweckt werden: Ein Teufelskreis.

Was leben Touristen denn maledivischen Menschen vor?

Ich habe dort erfahren, ich sagte es schon, dass es für eine heile Natur keinen gleichwertigen Ersatz gibt, aber auch, wie blind oder inkonsequent wir Menschen gegenüber dieser Wahrheit sind. Diese Erkenntnis gewinnen hier hoffentlich einige Touristen und gehen künftig mit Natur sensibler um, in dem sie ihren Lebensstil den neugewonnenen Erkenntnissen anpassen. Wir werden nur schützen, was wir selbst als liebenswert erfahren und erkennen.

W i r müssen uns ändern!

Im ständigen Hochsommer der Malediven wird mancherorts noch von sensiblen Menschen das schönste aller Meere unmittelbar und beglückend als heile Natur empfunden. Sie ist die reinste Quelle aller Freuden! Und diese Quelle gönne ich von Herzen allen danach suchenden Mitmenschen, so lange das noch möglich ist!“

 


Die Natur genügt nicht